2. Februar 2014

CALVARY



Chronik eines angekündigten Mordes 
im BERLINALE PANORAMA SPECIAL 2014

von Dave Lojek

CALVARY

Manchmal verkörpert ein Schauspieler eine Rolle so gut, dass man als Kritiker vergisst, nach Schwächen in einem Film zu suchen. Plötzlich überschreitet man die Grenzen des eigenen Genregeschmacks und das Kino bannt wieder die Aufmerksamkeit. Dann hat das Casting funktioniert. Der Ire Brendan Gleeson gehört zu diesen Mimen. Unter der Regie von John Michael McDonagh und mit ebenbürtigem Ensemble zieht er mich als Priester eines verrückten irischen Dorfes in seinen Bann. Schon im Berlinale Panorama 2011 überzeugte Gleeson in THE GUARD. Er gehört zweifelsohne zu den irischen Weltkinostars, was er in CALVARY erneut beweist. Dieser Film zeigt, dass man nicht immer riesige Budgets benötigt, um ein Publikum zu fesseln.

Die vom Pressematerial genannten Genres sind Thriller und Tragikomödie. Worum geht es?
James Lavelle hat sich nach dem Tod seiner Frau zum Pfarrer umschulen lassen und arbeitet in einem Dorf am Meer. Gleich zu Beginn beichtet ihm ein Mann, er würde aufgrund von eigenen Mißhandlungserfahrungen als Kind in einer Woche Rache an einem Pfarrer nehmen. Da der Täter bereits verstarb, soll nun Lavelle stellvertretend für dessen Sünden büßen. Leider respektiert Lavelle das Beichtgeheimnis und will nicht zur Polizei gehen. Zwar spricht er mit seinem Bischoff, aber der hilft ihm nicht wirklich. Im Laufe der sieben Tage lernen wir viele eigentümliche Bürger des Dorfes kennen. Der ruppige und schnippische Umgangston und Wortwitz der Iren sorgt für Rangeleien. Es gibt einen reichen Schnösel, dem nichts wichtig ist. Der Leichenbeschauer kommentiert ein Unfallopfer als zynischer Atheist. Der Wirt meckert. Ein greiser Schriftsteller lässt sich von Lavelle einen Revolver besorgen. Den muss er von einem überdrehten Schwulen erwerben.
Zudem reist Lavelles Tochter an, die mal wieder beim Suizid aus Liebeskummer versagte. Er besucht einen Straftäter im Gefängnis und sammelt immer mehr Informationen. Lavelle hat also auch ohne die Morddrohung viel zu tun. Er spricht mit einer Frau, deren Affäre für Getuschel sorgt. Ihr Mann ist der fröhliche Fleischer. Die Witwe des Unfallopfers kommt aus Frankreich und benötigt den Pfarrer auch. Nebenher probiert sich Lavelle als Detektiv, aber der Film verschleiert geschickt jede Möglichkeit, zu ergründen, wer der Täter sein wird. Wer hätte welches Motiv? Damit gelingt dem Regisseur ein Film über viele Abschiede und komplexe Beziehungsgeflechte. CALVARY skizziert ein höchst unterhaltsames Gesellschaftsportrait über Bewohner eines verarmten Landes. Nicht nur die Kirche fackelt jemand ab. Lavelle lebt uns einen Geistlichen vor, der sich einmischt und vergeben kann. Das Ultimatum dient natürlich dem Spannungsbogen, aber man bangt auch deshalb mit ihm, weil sein Tod so nutzlos wäre. Besinnt er sich noch und steigt ins Flugzeug, oder tritt er unbewaffnet seinem Mörder gegenüber?

Den Film empfehle ich vor allem, weil er es schafft, Charaktere durch wenige Sätze präzise zu zeichnen. Alle Bürger stecken in ihren Traumata fest und reagieren höchst heterogen auf den Pfarrer. Dabei geht es gar nicht um rechthaberischen katholischen Dogmatismus sondern um ein Musterbeispiel eines Seelsorgers, der vor allem helfen will. Das aus dem Tagebuch eines Landpfarrers geformte Drehbuch zeigt uns menschliche Abgründe und deren Ursachen. Schält man die Zivilisation von uns ab, werden manche zu Bestien, andere zu Erduldern. Letztendlich überfordert fast alle von uns die Welt. Da drängen sich Fehlentscheidungen und Emotionsstörungen auf.

CALVARY handelt von Trauer, Angst, Neugier und Vergebung. Die exzentrischen Figuren mögen überzogen oder fiktiv wirken, aber dank eines liebenswerten Protagonisten bleibt man gern im Kinosessel. Technisch ist der Film solide; manch lange Einstellung bedarf etwas Geduld. Trotz sparsamem Schnitt vermeidet der Filmemacher das Theaterhafte, was bei deutschen Filmen gerne ins Langweilige kippt. Fans von Brendan Gleeson werden den Film natürlich mögen, aber auch Krimifreunde kommen auf ihre Kosten.

WERTUNG: * * * *


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